Beau4 > Panorama > Kolumne > Vom Wind verweht

Vom Wind verweht

von Lazy Jack
Vom Wind verweht

Wenn es eine Sache gibt, wovon Segler etwas verstehen, dann ist es der Wind. Wirklich? Eine humoristische Probe aufs Exempel…

„Segeln: Die Kunst, ein Schiff nur durch Ausnutzung der Windkraft mit möglichst hoher Geschwindigkeit und auf allen physikalisch überhaupt möglichen Kursrichtungen vorwärtszubringen.“ Mit dieser Definition will uns das Seemännische Wörterbuch vermutlich sagen: Wenn es eine Sache gibt, wovon Segler etwas verstehen, dann ist es der Wind. Zugegeben: richtige Salzbuckel haben das mit dem Wind natürlich im Gefühl und brauchen sich deshalb mit dem Thema nicht weiter zu belasten. Die meisten langjährigen Autofahrer machen das ja auch so. Wobei keinesfalls sicher ist, dass sie noch alle Fragen einer Führerscheinprüfung korrekt beantworten könnten.

Jedenfalls gilt auch für Segler: Aller Anfang ist schwer. Und so hat vielleicht der ein oder andere von uns ehemaligen Landratten vergessen, wie mühsam es einst war, diese Kunst zu lernen. Im Rückblick kaum zu glauben, aber wahr, dass sich mancher mal für Worte wie Lee und Luv Eselsbrücken bauen musste…

Dabei haben wir es in Deutschland mit den seglerischen Fachbegriffen für Wind ja eigentlich recht einfach. Windrichtungen zum Beispiel drücken wir eher prosaisch aus. So heißt es bei uns ganz schnörkellos Nordwind. Bei den Italienern dagegen tragen die jeweils vier Haupt- und Nebenwindrichtungen eigene Namen, und so wird aus Nordwind Maestrale. Wieviel klangvoller sind denn auch die anderen italienischen Windrichtungen: Tramontana, Grecale, Levante, Scirocco, Mezzogiorno, Libeccio, Ponente (von Nord an im Uhrzeigersinn).

Überhaupt steckt das ganze Mittelmeer voll von regionalen Windsystemen mit ihren eigenen Namen. Oft erfährt man von diesen Winden zunächst in der Segelschule, später macht man dann gelegentlich mit ihnen auch in der wahren Welt Bekanntschaft. Zumindest gehört haben also die meisten von Mistral, Bora, Scirocco und Meltemi bzw. Etesien. Aber wie sieht es mit Ventraval, Marin, Chili, Ghibli oder Khamsin aus? Vielen Seglern mag bei den letztgenannten wohl eher eine berühmte Szene aus „Der Englische Patient“ einfallen als irgendein Detailwissen zu dem jeweiligen Wind (wer mit dieser Filmszene nichts anfangen kann: einfach mal „let me tell you about winds“ googlen).

Wie war das nochmal mit der Beaufortskala?

Überhaupt: all die Dinge, die man mal gelernt hat, als man noch die (Segel)Schulbank drückte. Hand aufs Herz: wer kann schon wirklich die Windstärke nach der Beaufortskala genau benennen? War drei Beaufort jetzt nochmal leichter Wind, schwacher Wind oder vielleicht doch mäßiger Wind?

Zur heiligen Begriffsverwirrung trägt auch der Deutsche Wetterdienst bei. Der hat nämlich seine wiederum eigenen Bezeichnungen: zum Beispiel „schwacher Wind“. Dahinter verbergen sich gleich drei Windstärken nach Beaufort (nämlich ein bis drei Beaufort, also: leiser Zug, leichte Brise und schwache Brise in Beaufort-Terminologie).

Bö: ein plötzlicher und heftiger, oft von Regen begleiteter Windstoß, der die Mitte eines Tagestörns anzeigt. Henry Beard & Roy McKie

Verwirrungspotential gibt es auch bei der Befiederung von Windpfeilen in Wetterkarten. Ein und dieselbe Befiederung kann nämlich die Windgeschwindigkeit in Knoten oder in Beaufort anzeigen. Da kann man sich beim Ablesen mal ganz schnell um eine ganze Windstärke vertun… Wobei, was soll‘s? Wer schaut sich denn noch die Befiederung von Windpfeilen in Wetterkarten an? Das Wetter kommt heutzutage schließlich aus dem Handy.

Und was, wenn das mal ausfällt? Und man vielleicht gerade draußen auf See ist? Also weiter mit den fiesen Fragen. Zum Beispiel: ein Segler beobachtet um sich herum Wellen, die noch klein sind, aber länger werden, wobei schon ziemlich verbreitet weiße Schaumköpfe auftreten. Welche Windstärke herrscht? Zur Beaufortskala gehört schließlich auch die Beschreibung der Auswirkung der verschiedenen Windstärken auf die See. Irgendwie kommen die „verbreitet weißen Schaumköpfe“ den meisten auch bestimmt bekannt vor. Vermutlich können sie sie auch ungefähr einordnen. Nur: bedeutet das jetzt vier oder fünf Windstärken?

Dabei kann sich der Leser glücklich schätzen, dass ich nicht nach den ursprünglichen Beschreibungen gefragt habe. Denn die Beaufortskala orientierte sich einstmals an der Segelführung eines großen Rahseglers, der „dicht am Winde“ fährt. Wer weiß heutzutage schon, welche Windstärke mit „doppelt gerefften Marssegeln“ verbunden ist? Ganz gemein übrigens auch die Frage: mit wieviel Knoten weht ein Wind von fünf Beaufort? Wie ging noch gleich diese Faustformel zur Umrechnung? Zum Glück gibt es ja Tabellen zum nachschauen…

Windstärken vom Hörensagen

Apropos Windstärke: viele Segler kennen Windstärken jenseits von sechs bis sieben Beaufort nur vom Hörensagen. Das liegt einerseits an den gängigen Charterbedingungen, die es bei Windstärken ab sieben Beaufort verbieten, den schützenden Hafen zu verlassen. Andererseits ist es halt eine seemännische Grundregel, nie in schlechtes Wetter zu segeln. Man muss also schon von einem Gewitter überrascht werden oder auf Langfahrt sein, um mal einen Sturm erlebt zu haben. Und so verbinden viele Segler mit stürmischem Wind höchstens wohlige Schauer bei dem Gedanken daran, sowie vielleicht Dankbarkeit, davon bislang verschont worden zu sein.

Dabei braucht der Wind gar nicht mit Sturmstärke zu wehen, um einem Segler Unbill zu bereiten. Wie sagte jemand so schön: „es gibt für den Segler drei bedeutsame Winde: den wahren Wind, den scheinbaren Wind und den idealen Wind. Wobei der ideale Wind immer aus der genau umgekehrten Richtung vom wahren Wind bläst.“ Wer das jetzt für übertrieben hält, sollte sich mal mit einem alten Kap Hoornier unterhalten. Oder, da es sich dabei um eine aussterbende Art handelt, alternativ einen Reisebericht aus der Zeit der Frachtsegler lesen. Zum Beispiel das Buch „Die letzten Segelschiffe“ von Heinrich Hauser, das von einer Fahrt mit der Pamir um Kap Horn 1930 erzählt. Dort wird berichtet, dass der Kapitän dem Meer für günstigen Wind sogar einen Hund opferte. Interessanterweise wurde er vom Meer erhört. Ist da vielleicht was dran an dem uralten Glauben, man müsse dem Meer Opfer bringen? (Um Missverständnissen vorzubeugen: bitte nicht nachahmen!)

Womit wir wieder zum Ausgangspunkt dieser Kolumne zurückkommen: Wenn es eine Sache gibt, wovon Segler etwas verstehen, dann ist es der Wind. Das mag so sein, aber das Wissen darum ist dann doch oft einfach: vom Wind verweht.

Weitere Beiträge