Wie ein Kommodore der britischen Marine um 1740 fast sein gesamtes Geschwader verliert und dennoch als Held zurückkehrt – Das erzählt Glyn Williams in „Der letzte Pirat der britischen Krone“. Ist ihm eine spannende Nacherzählung gelungen?
1743 erobert George Anson, Kommodore der britischen Marine, nach anderthalbstündigem Gefecht die „Prise aller Ozeane“ – eine Schatzgaleone, die seit 1570 einmal jährlich von Acapulco in Mexiko nach Manila verkehrte, vollbeladen mit peruanischem Silber. Bis zu diesem Zeitpunkt stand seine Mission, zu der er drei Jahre zuvor mit einem Geschwader von sechs Schiffen aufgebrochen war, noch vor dem völligen Scheitern. Seine Auftragsliste war lang und eindeutig: „eine Insel in der Südsee zu besiedeln, einen erfolgreichen Überfall auf Peru zu machen, zwei dortige Kriegsschiffe und die Limaflotte zu kapern, Panama und seine Schätze einzunehmen, verschiedene wertvolle Städte zu erobern, das Acapulcoschiff zu kapern und die Peruaner zu verleiten, dem König von Spanien ihren Gehorsam aufzukündigen.“ Er aber hatte bis dahin keinen einzigen Punkt erfüllen können. Und überdies sein gesamtes Geschwader mit Ausnahme seines Flaggschiffs sowie einen Großteil der ursprünglichen Mannschaft verloren. Mit der Kaperung des Acapulcoschiffes und dessen unermeßlichen Reichtümern konnte Anson nun als Held zurückkehren, wurde in London gar als neuer Francis Drake gefeiert.
Wie es zu all dem kam erzählt Glyn Williams in seinem Buch „Der letzte Pirat der britischen Krone“. Wobei ein Wort im Titel so ziemlich das einzige ist, was mir an diesem Buch nicht gefällt: Pirat statt Freibeuter – denn jeder, der sich auch nur ein wenig mit dem Thema Seeräuberei beschäftigt, sollte den Unterschied zwischen beiden kennen. Und eins war George Anson, Offizier der britischen Marine, der im Auftrag seiner Majestät, Georg II., König von Großbritannien und Irland, auf britischen Marineschiffen auf eine Mission geschickt wurde, gewiss nicht: ein Pirat. Vielleicht wäre es besser gewesen, den Originaltitel „The Prize of all the Oceans“ einfach ins Deutsche zu übersetzen.

„Der letzte Pirat der britischen Krone“ von Glyn Williams
Ansonsten hält man eine spannende Lektüre in Händen, geschrieben von einem Experten in Sachen Seefahrt: Glyn Williams, mittlerweile emeritierter Professor der London University, hat zahlreiche Werke zu ihrer Geschichte verfasst oder herausgegeben. Die Forschungsarbeiten zu „Der letzte Pirat der britischen Krone“ zogen sich über mehrere Jahrzehnte hin, in der Williams umfangreiches Quellenmaterial ausgewertet hat. Herausgekommen ist die Nacherzählung einer abenteuerlichen Reise, geprägt von Stürmen, Irrfahrten, Schiffbruch, Meuterei, Entbehrung und Krankheit. Wobei der Untertitel des Buches, „Captain Anson und der Fluch des Meeres“, darauf hindeutet, dass es weit öfters von Scheitern und Elend als von Glück und Erfolg handelt.
Selbst das Glück der märchenhaften Beute, die mit dem Aufbringen der Schatzgaleone verbunden war, blieb nicht ungetrübt. Unter den Offizieren brach nämlich ein erbitterter Streit ums Prisengeld aus, der vor Gericht geklärt werden musste. Da keine anderen Kapitäne im Gefecht um das aufgebrachte Schiff anwesend gewesen waren, stand George Ansons Anteil am Prisengeld dabei außer Frage. Auch desen weitere Karriere sollte glücklich verlaufen. Er wurde Admiral, bereitete als solcher der französischen Flotte bei Kap Finisterre 1747 eine Niederlage, wurde daraufhin in den erblichen Adel erhoben und leitete schlussendlich als Erster Lord der Admiralität umfassende Reformen der britischen Marine ein.
Bleibt bei all den Lobeshymnen zum Buch ein Wermutstropfen: „Der letzte Pirat der britischen Krone“ scheint leider – auch im englischen Original – aus dem Verlagsprogramm genommen worden zu sein. Man bekommt es allerdings noch bei einigen Händlern im Neuzustand – und natürlich antiquarisch.
Glyn Williams: „Der letzte Pirat der britischen Krone“. Argon Verlag, Berlin 2000. 292 S., geb., 24,- Euro.